Beispiel: Digitale Soziologie

Es ist etwas paradox mit den falschen Dichotomien in den Sozialwissenschaften: Man will sie überwinden und reproduziert sie in diesem Zuge dennoch. Solch eine „falsche“ Dichotomien ist z.B. die Gegenüberstellung „Technik“ und „Soziales“, die verkennt, wie sozial das Technische und wie technisch „das Soziale“ ist, und dennoch in vielen Ausläufern der STS – sogar unter Bezug auf die symmetrisierende ANT – reproduziert wird.

Eine weitere, aus meiner Sicht sehr ärgerliche, „falsche“ Dichotomie ist die zwischen „virtuell“ und „real“, die nicht nur semantisch falsch ist (das Gegenteil von virtuell ist physisch), sondern auch folgenreich: Denn in ihrer bevorzugten Anwendung dient diese Dichotomie dazu, unter Einsatz digitaler Kommunikationsmittel zustande gekommene Kommunikation und Strukturen als (je nach Geschmacksrichtung) weniger echt, vertrauenswürdig, wertvoll, hilfreich, oder schlicht relevant zu labeln.

Dass es auch aus einer explizit soziologischen Position anders gehen kann, zeigt zum Beispiel die Arbeitsgruppe „Digital Sociology“ der BSA. Die dort versammelten Soziologinnen haben es sich zum Ziel gemacht, das – wenn man vielen wissenschaftlichen Einleitungen und Vorträgen zum Thema glauben schenkt – in letzter Zit offenbar plötzlich und überraschend über uns hereingebrochene Internet nicht nur im Hinblick auf Methodenfragen (Darf ich Online-Interviews führen?) zu bearbeiten. Konkret geht es um vier Aspekte des Forschens mit und zum Internet:

  • professional use of digital tools by sociologists
  • sociological analyses of digital media use
  • sociological analysis of digital data
  • critical analysis of digital media and their attendant circuits of capital and power

Ich bin versucht, schon wieder etwas zum professionellen Gebrauch digitaler Kommunikationsformen durch und für die deutsche soziologische Öffentlichkeit zu schreiben, aber seitdem dort immerhin explizit Selbstreflexion passiert, will ich nicht meckern, sondern für Geschwindigkeit beten. Aber zurück zur „Digital Sociology“ – Über deren Twitter-Stream bin ich auf einen Blogpost zu einem spannenden Podcast gekommen.

Eindeutig zum letzten Ziel, die Funktionsweisen und Folgen digitaler Technik kritisch zu reflektieren, gehört das was David Beer auf „Thinking Culture“ empfiehlt: Einen Vortrag von Roger Burrows, den es nun als Podcast gibt. Burrows ist seit kurzer Zeit an der Londoner Goldsmith’s University tätig und hat im Rahmen seiner Antrittsrede dort pointiert das Verhältnis von akademischer Arbeit und Algorithmen thematisiert. Anhand verschiedener Ebenen des akdemischen Prozesses (Workloadberechnung, bibliometrische Impactfaktoren, Beurteilung v. Forschungsprojekten) thematisiert er, wie die dahinter stehenden Algorithmen das akademische Feld nicht abbilden, sondern in bedenklicher Art und Weise formen. Burrows verhandelt das u.a. am an Foucault angelehnten Stichwort „quantified control“, für Soziologinnen besonders charmant am Beispiel der eigenen Zunft beschrieben:

One of the ironies of the contemporary academy is that the judgments about the quality of sociological research made by sociologists on the RAE 2008 panel, whose intellectual world is dominated by an anti-positivist stance, are to a high degree predicted by a simple three variable statistical model embodying an opposing ontology and epistemology.

 
Den kompletten Podcast gibt es hier [MP3], bzw. hier auf der Seite des Goldsmith Podcats-Angebots. Die Slides (die mit den Worten „…. and then booze“ enden!) gibt es hier [PDF].

2 Kommentare

Sehr geehrter Herr Bischof,
danke für diesen Beitrag, da ich gerade meine Master Arbeit zum Thema „digital sociology“ verfasse, war dieser Eintrag ein guter (da kritischer) Einstieg in das Thema für mich. Leider ist der Link zu den Folien des Podcastes nicht mehr aktuell.
Ich habe Ihren Artikel ansprechend gefunden und danke Ihnen dafür.
Beste Grüße aus Österreich.

Das freut mich sehr! Wenn Sie fragen haben, schreiben Sie mir gern eine Mail doer kontaktieren Sie mich auf Twitter (@analog_a). Beste Grüße!

Schreibe einen Kommentar