Achtung, Wortwitzüberschrift: Ich war vergangene Woche auf der EASST, der wichtigsten europäischen Konferenz zu Wissenschafts- und Technikforschung (STS). Es handelte sich um einen Kurzausflug mit Pre-Conference Workshop und dann nur 1,5 Tagen Konferenz, weil ich Donnerstagabend bereits wieder in Deutschland sein musste. Aber auch in der kurzen Zeit habe ich schöne Einblicke in die Community dort bekommen.
Die EASST ist eine – der Institutionalisierung von STS als Forschungsfeld folgend – sehr britisch-niederländisch-skandinavische europäische Vereinigung von Technikforscher_innen. Die Organisation bemüht sich seit Jahren, Süd- und Osteuropa verstärkt in den Blick zu nehmen und geografisch-kulturell ebenso offen zu sein, wie theoretisch und methodologisch (siehe unten). Deswegen finden die zweijährlichen Kongresse verstärkt in diesen Teilen Europas statt. Die Ausgabe 2014 war vergangene Woche in Torun, der Kopernikus-Geburtsstadt in Zentralpolen.
Ich nahm vor der Konferenz den Doktorandenworkshop am Dienstag mit, um mehr über die Selbst- und Fremdbilder der Kollegen zu erfahren. Dort hat der EASST-Präsident Fred Stewart mit einer kurzen, informellen Begrüßung eigentlich alles gesagt, was man zur EASST und europäischer STS wissen muss: Er forderte uns auf, über Theorien und Modelle zu streiten, aber zu beachten, dass es dabei nicht um richtig oder falsch, nicht ausschließlich „ums Prinzip“ gehen könne. Theoretisch-methodologische Zugänge seien sehr pragmatisch epistemische Werkzeuge, die soziale Phänomene besser oder schlechter rekonstruieren können.
Inhaltlicher Minimalkonsens und Marginalität als Selbstbild
Darin lässt sich schon der Minimalkonsens, erkennen, auf dessen Grundlage sich die EASST-Panels (alle Panels hier) zusammensetzen und diskutiert werden: Wissenschaft als spezifische Ausstülpung von gesellschaftlichem Wirken, Wissen als sozial hergestellt. Über die Kenntnis der „Klassiker“ der STS-Literatur hinaus – Kuhn, Suchmann, Woolgar, die Edinburgher, Pinch, etc. – scheint es keine Theorieschulen oder Verdichtungen in Stränge zu geben. Stattdessen sind Zugänge, Vorträge und Panels sehr eng an den Phänomen und Forschungsgegenständen geordnet: „Governing Health Care“ ist dann tatsächlich über empirische Forschung zu verschiedenen, konkreten Gouvernementalitätsmomenten in der Entwicklung und Erforschung von „Altenpflege“-Technologien, anstatt Vorträge dazu, wie man Theorien zu Governance für die Untersuchung von diesen Fragen anwenden könnte.
Mit diesem etwas schnippischen Vergleich zu Veranstaltungen der deutschsprachigen, institutionalisierten Soziologie geht ein interessanter (Selbst-)Befund einher: Die STS-Forscherinnen konstruieren sich gegenüber verschiedenen Akteuren aus ihrem Feld durchgehend als marginal / peripher: den Theorie- und Statuslieferanten (Soziologie, Geschichtswissenschaft), den Geldlieferanten und Beforschten (große Technikprojekte, öffentliche Programme und Einrichtungen) und ihren Herkunftsdisziplinen (entweder direkt aus den Naturwissenschaften oder dem bunten Strauss aus social science und humanities). Während man als Doktorand leichterdings das Gefühl haben könnte, diese Marginalität, dieses „Grenzgängertum“ wäre ein Teil der je spezifischen, aktuellen Lage im Feld, zeigte sich, dass die Rede von der eigenen Randlage (auch als Chance!) zu den Kernerzählungen über STS in der STS gehört. [Die Macher des empfehlenswerten „Installing Order“-Blogs bereiten dazu eine Untersuchung von 40 Jahren STS-Dokumenten vor (Beispiel) – Dort findet sich das Marginalitätsbild beständig].
Vermutlich liegt darin auch begründet, dass wenig explizite Distinktionsarbeit gegen Disziplinen und Zugänge betrieben wird. Natürlich unterschieden sich die Beiträge in Qualität und Reflexionsgrad teilweise stark von dem, was als sehr gute STS gilt – vor allem wenn Disziplinen wie Pädagogik oder eben auch Medien- und Kommunikationswissenschaften erst seit einigen Jahren beginnen, sich den materiell-technischen Arrangements ihrer Gegenstände zu nähern – aber das ist nie Anlass zu Fundamentalkritik anhand der Disktintion erlaubt/nicht-erlaubt. Stattdessen herrscht tatsächlich ein sehr kollegiales Miteinander, und „gelernte“ STSler, die besonders von den Forschenden belastend empfundene Rand- und Extremlagen – die Fragen nach „noisey data“, Unklarheiten, Gleichzeitigkeiten, Widersprüchlichkeiten in Ergebnissen wissenschaftlicher Arbeit – abfedern, da sie sie ja selbst erlebten und erleben.
Implikationen für die deutsche (Technik-) Soziologie?
Gemeinsam mit anderen aus der Soziologie stammenden Teilnehmer_innen aus Deutschland habe ich mehrfach überlegt, wie sich diese Merkmale der STS Community zur institutionalisierten Soziologie hierzulande verhalten. Wir waren uns einig, dass wir vor allem methodologisch und methodisch eine vergleichsweise sehr gute Grundausbildung haben, die „hier“ (auf der EASST / in der STS) aber noch einmal besser zur Geltung kommt, da die Reflexion theoretischer und methodologischer Fragen sehr eng an empirischer Arbeit geführt wird. Als Implikation für das Arbeiten in weiterhin direkt oder indirekt soziologisch geprägten Umfeldern im deutschsprachigen Wissenschaftsraum habe ich mehrfach gehört, dass es gewissermaßen als „Generationenaufgabe“ angesehen wird, dass „wir“ – empirisch zu mensch-materiell-teschnisch-medialen Konstellationen arbeitende Doktorandinnen – Wissen und Diskurse aus der STS in die Soziologie tragen. Denn damit geht auch ein Zukunftsprogramm sowohl des wissenschaftlichen Arbeitens zu solchen Arrangements als auch der Förderung solcher Arbeit einher – STS hat da nicht nur in der empirischen Arbeit sehr viel mehr Erfahrung, sondern auch was Feldzugänge, wichtige Fragestellungen im Feld und den Blick auf Leerstellen der Theorie angeht.
Ganz pragmatisch brachte ein Kollege aus Berlin das am Beispiel der – nicht durchgängig von inhaltlicher Diskussion bestimmten – Auseinandersetzung in der Techniksoziologie mit der in Wellen populären ANT auf den Punkt: „Man muss ja mit Latour nicht mitgehen, aber es schadet doch nicht, sich mit Studenten anhand dieser Texte darüber zu unterhalten, wie man eben das Verhältnis und Handlungspotential von Subjekten, Objekten und Akteuren bestimmen will.“
Mein Beitrag zur Ko-Konstruktion von Usern in (assistiven) Robotikprojekten
Eingebettet war der Vortrag in zwei sehr interessante Beispiele ethnographischer Begleitforschung in einzelnen Projekten. Susanne Öchsner aus Wien untersucht im Zusammenspiel aus Dokumentanalyse von Ausschreibungen und Anträgen sowie Experteninterviews mit Forschenden, wie in Ambient Assisted Living-Projekten (AAL) darüber verhandelt wird, was „gute“ AAL-Forschung und -Technik bedeutet. Michela Cozza aus Trento hat sehr schön gezeigt, welchen methodischen Herausforderungen Forscherinnen in Technikprojekten gegenüberstehen, wenn sie es auf einmal mit „echten“ Senioren zu tun haben.