Die aktuelle Printausgabe von „The Economist“ bringt das Aufkommen der Roboter auf den Titel. Der Artikel „Rise of the Robots“ macht ein schönen Punkt im Hinblick auf die gesellschaftliche Funktion der Sichtbarkeit / Unsichtbarkeit von Technik und zeigt zudem eine Merkwürdigkeit des Diskurses rund um Roboter als Alltagsmaschinen. Den ersten Punkt, der im verlinkten Artikel das Fazit ist, will ich hier gar nicht diskutieren, dass darf jede/r für sich tun 🙂 Wohl aber die Entwicklung des Arguments, dass uns Roboter bald alltäglich umgeben werden.
Roboter als literarische Apparate
Zunächst einmal arbeitet die Exposition sehr schön die Quelle und den empirischen Zustand der Roboterbegeisterung heraus:
„Robots came into the world as a literary device whereby the writers and film-makers of the early 20th century could explore their hopes and fears about technology, as the era of the automobile, telephone and aeroplane picked up its reckless jazz-age speed.“
Roboter-Fiktionen als Bewältigung von Technisierung also. Offenbar hat ihnen diese Rolle kein Glück gebracht:
„Since moving from the page and screen to real life, robots have been a mild disappointment. (…) although they fascinate people, they have not yet made much of a mark on the world.“
Nun behauptet der Artikel – wie auch so gut wie jede Einleitung, Ausschreibung oder Zusammenfassung aus dem Feld der Robotik – dass sich das derzeit grundlegend ändert:
„That seems about to change.“
Ich bin von dieser (hier eher defensiv formulierten) diskursiven Figur sehr fasziniert, da sie mir auch immer wieder in meinem Material begegnet: Das Zeitalter der Roboter im Alltagsleben wird kommen.
Von der Fiktion in den Alltag?
Der Artikel führt drei Gründe für den bevorstehenden Wandel an:
- Die zunehmende Standardisierung von Hard- und Software-Schnittstellen in Forschung und Entwicklung, die selbige günstiger machen.
- Die Investitionen von Google als Beleg für eine gestiegene Attraktivität von Robotik-Unternehmen als Wertanlage.
Etwas unscharf: „imagination“, wobei damit der Erfindungsreichtum, aus den technischen Möglichkeiten ein Massenmarktprodukt zu machen, gemeint ist.
Kurz zum Geltungscharakter dieser Faktoren: Die Festlegung und Einführung von gemeinsamen Maßstäben und Schnittstellen ist ohne Zweifel eine wichtige Voraussetzung für die Formierung des heterogenen Feldes „Robotik“. Martin Meister hat das Argument für die Servicerobotik am Beispiel des Robocups entwickelt [Meister 2011, PDF]. Inwiefern die zunehmende Standardisierung zum Beispiel im Bereich der Middleware aber auch zu einer Realisierung der Idee des Roboters als alltäglich präsentem Co-Arbeiter beiträgt, ist eine empirische Frage.
Das Argument der Investitionen ist ebenso verlockend wie auch trügerisch. Denn zunächst steht eine erhöhte Investitionsbereitschaft erst einmal für nichts anderes, als das Ziel, die Anlage zu vermehren. (Und im Moment ist seitens einstiger „Internetfirmen“ sehr viel Geld im Markt.) Natürlich lassen sich aus Investment Rückschlüsse darauf ziehen, dass die zukünftigen Produkte oder Patente dieser Firmen in irgend einer Weise profitabel sind. Aber ob das in Gestalt eines Roboter sein wird? Aus dem Portfolio der von Google gekauften Firmen hat bislang eine ein Marktreifes Produkt: Einen „intelligenten“ Thermostaten, der die Regelung der Hausklimatiserung an die Gewohnheiten der Nutzerinnen anpasst. Nicht gerade ein R2D2 also.
Zur Hoffnung auf einen erfindungsreiche Vermarkter fällt mir nicht viel mehr ein, als ein Verweis auf die Technikgenese-Literatur, die vor allem in historischen Studien sehr vielgestaltig gezeigt hat, dass zu einem erfolgreichen Produkt nicht nur ein Erfinder, sondern auch ein (erfundenes sozial geformtes und abgesichertes) Bedürfnis gehört, ebenso wie entsprechende Normen, Gesetze und Versicherungen. Für die Sicherheit von Pflegerobotern gibt es immerhin seit kurzem einen internationalen Standard. Von Rechtssicherheit in der freien Verwendung ist man – sogar in Japan – allerdings noch weit entfernt.
Die Zukunft kommt!
Warum belasse ich es nicht dabei? Es handelt sich um den Titelartikel eines Wirtschaftsmagazins, der im Hinblick auf Roboter den Anbruch in rosige Zeiten feiert. So weit, so gut. Aber die letzten Absätze des Artikels führen die rhetorische Eigentümlichkeit der Vorhersage des Alltags mit Robotern so schön deutlich vor, dass ich sie nicht ignorieren kann. Es handelt sich bei diesem Argument um eine selbsterfüllende Prophezeiung: Die Zukunft kommt!
„As consumers and citizens, people will benefit greatly from the rise of the robots. […] Robotic prowess will to some extent be taken for granted.“
Sie kommt also nicht nur, sondern sie kommt auch zu unser aller Vorteil. Im Hinblick auf Arbeitsplätze wird hier die Lösung eines noch latenten Problems diskutiert: Die Freisetzung von Dienstleistungsarbeitsplätzen (besonders Transport), ähnlich wie die Freisetzung der Agrararbeitsplätze durch die Industriegesellschaft. Ähnlich ist mir das Argument im Feld der Altenpflege begegnet: Hier arbeiten dutzende Teams weltweit schon mit Pflegeeinrichtungen zusammen, weil der Einsatz von Robotern kommen wird. Wenn man nachfragt wieso, wird der Roboter ebenfalls als Lösung propagiert: Der des demographischen Wandels, der zu mehr Alten bei weniger Pflegern führt.
Ich finde es bemerkenswert, wie mit dieser einfachen Figur – die Evgeny Morozov als Solutionismus zugespitzt hat – erfolgreich andere Horizonte des Einsatzes solcher Technik ausgeblendet werden. Da sich alle Teams und Texte, die ich bisher analysiert habe in dieser Form auf ihr Arbeitsthema als bevorstehende Zukunft beziehen, wird mich die Figur also auch noch eine Weile begleiten.
UPDATE: Die Frühjahrstagung der Sektion Wissenschafts- und Technikforschung beschäftigt sich mit ähnlichen Fragen. Welchen Stellenwert haben Zukunftsvorstellungen im Prozess der Technikgenese? Sie findet am 22. und 23. Mai in Dusiburg statt.
2 Kommentare
[…] wie es diesbezüglich im eher noch interdisziplinärerem Feld der Sozialrobotik aussieht. Wie ich im letzten Post schon zitiert habe, braucht es dazu unter anderem Standards. Zwei Ebenen auf denen diese Konventionen wirken können, […]
[…] über automatisierte Maschinen mit menschenähnlichen Zügen beschwören in bemerkenswerter historischer Konstanz seit den 1920er Jahren ein kurz bevorstehendes Zeitalter d… Ich will diese die Robotik kennzeichnende Diskrepanz von Zukunftsdiskurs und tatsächlicher […]