Drei kleine Beobachtungen zur (erschreckenden?) internationalen Marginalität vor allem qualitativer Positionen aus der deutschsprachigen Sozialwissenschaft.
Zunächst die quantitative Governance-Keule: Wenn sich gute Wissenschaft am Output in internationalen Wissenschaftsmagazinen misst, hängt die deutschsprachige Sozialwissenschaft den hiesigen Kollegen aus anderen Disziplinen signifikant hinterher, das sagt zumindest eine Auswertung aktueller Zahlen des Medienkonzerns Thomson Reuters. Hier liegt die einzuwendende Kritik noch relativ offensichtlich auf der Hand, wie zum Beispiel Till westermayer in den Comments anmerkt: Relevante Diskurse finden nicht automatisch in internationalen Publikationen statt, die Qualitätsstandards „guter Sozialwissenschaft“ differieren z.T. erheblich, was fällt hier überhaupt unter Sozialwissenschaften? Was ist mit Humanities/Geisteswissenschaften, Philosophie und Sozialtheorie?
Die zweite Beobachtung zielt nicht auf Unterschiede und Unterscheidungen zu Publikationslogiken, sondern auf einer alltagsweltlichen Ebene auf die Irritation, die (wiederrum besonders qualitative) Sozialforschung bei „positivistisch sozialisierten“ Wissenschaftlerinnen auslöst. Konkret geht es mir um einen sehr sympathischen, promovierten australischen Biochemiker, der an unserem Kolleg einen Kurs in Scientific Writing hält. Die Tatsache, dass qualitative Forschungsanliegen ihre Gegenstände erst zum Schluss formalisieren bzw. abstrahieren und dennoch für sich in Anspruch nehmen, generalisierbare Erklärungen zu sozialen Phänomenen zu erzeugen, war für ihn höchst irritierend. Das ging soweit, dass er bei jeder zu besprechenden Standardrubrik eines wissenschaftlichen Papers (Methoden, Ergebnisse) – ohne Gehässigkeit – fragte: Habt ihr so etwas auch?
Die dritte Beobachtung kommt aus der Disziplin selbst, aus einer Einleitung von Hubert Knoblauch zu einer Tagung am vergangenen Freitag und Samstag. Es handelte sich um die erste gemeinsame Veranstaltung der DGS-Sektionen „Wissenssoziologie“ und „Wissenschafts- und Technikforschung“, deren Motivation in der Überwindung der Trennung dieser Diskursuniversen lag, explizit auch, um die internationale Relevanz deutschsprachiger Forschung in diesen Feldern zu stärken.
Was sagt uns das? Natürlich erstmal nicht viel, weil nur mir das alles zwischen Donnerstag und Freitag begegnet ist und alles ganz anders sein könnte. Aber sowohl die Zuschreibung marginaler Wahrnehmung (1), als auch die Schwierigkeiten qualitative Sozialforschung von außen zu verstehen (2) und schließlich das selbstformulierte Disziplinenziel der Stärkung der internationalen Reputation (3) verdichtet sich (auch mit dem Ausgangspunkt dieses Blogs) doch zu einem Bild der übergreifenden Bezugnahme auf einen Relevanzdiskurs in der Soziologie.
Ist das tatsächlich der Beginn einer Arbeit am vernachlässigten Selbstbild, oder vielleicht mittlerweile sogar ein identitätsstiftender Diskurs für „die“ Disziplin? Mal ein paar Abstraktionsstockwerke tiefer gedacht: Klar kann einem der unzureichende Vergleich mit quantitativer Naturwissenschaft egal sein, wenn man die besseren Argumente kennt. Die Frage ist, ob das die Leute, die von der eigenen Forschung profitieren sollen, so verstehen – Und diejenigen, die darüber entscheiden, was gute, ergo zu finanzierende Forschung ist.