Wie kommt die Robotik zur Pflege?

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Am 7. und 8 . Dezember fand an der TU Berlin die Tagung „Genese und Folgen der ‚Pflegerobotik‘“ statt, zu der Pflegewissenschaftler_innen, Wissenschafts- und Techniksoziolog_innen und Kulturwissenschaftler_innen über Roboter in der Pflege diskutiert haben. Die Tagung wurde von Jannis Hergesell, Arne Maibaum und Martin Meister organisiert und war außerordentlich gut. Für mich persönlich war besonders spannend, dass mit Arne und Martin, Diego Compagna, Benjamin Lipp, Pat Treusch und Cosima Wagner viele Forscher_innen beigetragen haben, die empirische Analysen zur Robotik publiziert haben. Die Organisator_innen planen eine Publikation der Beiträge, die Wartezeit bis dahin überbrücke ich, indem ich einen Teil meines Vortragsmanuskript hier schon einmal online stelle.
Der Vortragstitel lautete „‚Wir wollten halt etwas mit Robotern in Care machen‘ – Epistemische Bedingungen der Entwicklungen von Robotern für die Pflege“, für die Darstellung hier habe ich zwei längere empirische Fallbeschreibungen und deren Diskussion gekürzt. (Diese finden sich in meinem Buch auf den Seiten 198-205, bzw. in der frei zugänglichen Dissertationsschrift auf den Seiten 226-233.)

1. Einleitung

Die Frage, die ich im Folgenden diskutieren möchte lautet „Wie kommt die Robotik zur Pflege“. Dabei wird es hauptsächlich um Robotik als Praxis gehen. Also um das, was Robotikerinnen und Robotiker tun, um ihre Maschinen – und ihre Forschung – zum Funktionieren zu bringen. Die im Call zu dieser Tagung aufgeworfene Frage, warum ausgerechnet die Pflege zu einem so paradigmatischen Anwendungsfall der Robotik geworden ist, wird dabei quasi als Antwort genommen: Ich werde versuchen zu zeigen, dass und wie ausgerechnet die Pflege ein Anwendungsbereich ist, der den Bedingungen und Herausforderungen des Entwickelns von Robotern für Alltagswelten besonders gut entspricht.

2. Roboter-Entwicklung als Technisierung

Wenn ich im Folgenden über Roboter und Robotik spreche, dann interessiert mich vor allem ein Aspekt: Die Frage unter welchen Bedingungen, mit welchen Mitteln und welchen Praktiken Roboter für explizit „soziale“ Anwendungsfälle hergestellt werden. Mir geht also nicht etwa um den Akteursstatus autonomer Maschinen, oder auf welche kulturellen Vorstellungen sich Robotik bezieht. Mir geht es darum herauszufinden, was Robotiker eigentlich tun, mit welchen Instrumenten sie versuchen, ihrem Gegenstand habhaft zu werden, wie sie soziale Phänomene technisch und wissenschaftlich zu fixieren suchen.

Denn das ist die erste Rahmung, die ich voranstellen will: Roboter für den Einsatz in der Pflege zu bauen, ist eine unerhörte Herausforderung für eine technische Disziplin. Die Pflegerobotik ist Teil eines umfassenderen im Grunde revolutionären Paradigmas innerhalb der Robotik, nämlich die Labore und Fabrikhallen zu verlassen und sich „real world problems“ zu stellen. Alltagswelten und soziale Interaktionen sind für das theoretische, methodische und technische Instrumentarium der Robotik ein absoluter Grenzfall der Bearbeitbarkeit. In dem Moment, wo die Robotik sich Situationen wie der Pflege von Menschen zuwendet, wird sie eine Disziplin ähnlich wie Architektur oder Stadtplanung: Sie arbeitet nun ganz explizit mit sozio-technischen Systemen, in denen sich nicht nur der technische Teil als widerständig und zuweilen widerspenstig erweist.
Es ist nicht nur die spezifische Komplexität von Alltagswelten und sozialen Interaktionen, der Pflegerobotik zu einem „wicked problem“ (Rittel & Webber 1973) – das sich nur schwer mit standardisierenden Zugriffen lösen lässt – macht, sondern auch die Tatsache, dass das zu bearbeitende Problem von der Formulierung, Definition und Interpretation der Konstrukteurinnen und Konstrukteure selbst abhängt. Das, was sie unter hilfsbedürftig, würdig, gesund, als wünschenswert oder als technisch realisierbar verstehen, wird ihren Gegenstandsbereich, ihre Praxis, ihre Interaktion mit zu Pflegenden und Pflegekräften und die resultierende Mensch-Roboter-Interaktion formen. Die Konstrukteurinnen und Konstrukteure werden selbst ein Teil der Gleichung: und das wird, um mein Fazit vorwegzunehmen, weder explizit genug noch methodisch kontrolliert reflektiert.

Das Verständnis der Konstrukteurinnen und Konstrukteure und ihre Praktiken rund um die soziale Situation der Pflege sind nicht etwa Beiwerk einer eigentlich technischen oder mathematischen Praxis, sondern sie gehören zum Kern der – wie ich sie nennen möchte – epistemischen Praktiken der Sozialrobotik. Und diese Feststellung ist die zweite Rahmung, die vornehmen möchte. Wir haben von Rheinberger (2001) gelernt, dass die Arbeit des Molekularbiologen im Labor im Wesentlichen ein Abarbeiten an den technischen Dingen und den „Wissensdingen“ der Forschung ist: Experimentalbedingungen und Technik werden so lange hin und hergeschoben, bis man dem zu Entdeckenden auf die Spur gekommen ist, oder besser: Bis man seine Spuren verlässlich erzeugen kann.
Für die Sozial- und auch für die Pflegerobotik werden ganz andere Dinge als DNA-Sequenzierer und Mikroskope zu technischen Dingen der Hervorbringung von Wissen über den neuen Gegenstandsbereich: Neben der Laboratisierung von psychologischen Effekten sind das vor allem das Alltagswissen und die Praktiken der Forschenden selbst.
Und diese Praktiken sind insofern epistemische – also das Wissen der Robotik erzeugende – Praktiken, als dass sie an der empfindlichsten Stelle des Entwicklungsprozesses wirksam werden: Dann wenn Wirklichkeiten nicht nur für das Labor erzeugt werden, sondern „Wirkungszusammenhänge“ (Rammert 1989) in Technik fixiert, also eine operative Geschlossenheit eines technischen Systems erzeugt wird.

3. Welche epistemischen Bedingungen der Robotik Pflege bedient

Ich habe so viel Zeit auf diese Herleitung verwendet, um einem prominenten Missverständnis aus dem Weg zu gehen: Würde man die Arbeit der Robotiker als technische Praxis verstehen, die prinzipiell vom konkreten Anwendungsfall ablösbar stattfindet, – was dem ingenieuralen Selbstbild des Feldes entspricht – würde unsichtbar bleiben, wie sehr diese Entwicklungsarbeit und ihre Bedingungen die adressierten Verwenderinnen und Verwender und die Situation des Einsatzes bereits konfigurieren (Woolgar 1990, Oudshoorn et al. 2004). Um das empirisch in den Blick zu bekommen, möchte ich rekonstruieren, welche epistemischen Bedingungen der Robotik durch den Anwendungsfall „Pflege“ wie bedient werden.

3.1 Pflegerobotik als selbsterfüllendes Lösungsversprechen

Robotik ist ressourcenintensiv und kompliziert und ohne verhältnismäßig große finanzielle Mittel nicht durchführbar. Robotik tritt deswegen als Problemlösungsversprechen im volkswirtschaftlichen Maßstab auf und erhält dementsprechende Mittelausstattungen. Aus diesem Kontext stammt auch das (ursprünglich) titelgebende Zitat des Vortrags. Die Motivation der Pflegerobotik lautet qua Ausschreibung, den Einsatz von Robotern in diesem Feld zu ermöglichen. Oder in den Worten eines Forschers, der seine Drittmittelstrategie darauf ausgerichtet hat: „Wir wollten halt etwas mit Robotern in care machen.“ (Feldtagebuch 29.10.2013)

Ich will hiermit nicht den vermeintlichen Opportunismus der Akteure kritisieren – wenn schon, dann eher den des Systems –, sondern vielmehr auf eine epistemische Grundbedingung der Robotik für Alltagswelten scharfstellen: Solche Forschung sucht nicht ergebnisoffen nach Lösungen für Probleme in der Pflege, sondern nach Wegen der Umsetzung des vorab definierten Lösungswegs „Robotereinsatz“, wie wir es gestern von Cosima Wagner im Rückgriff auf Yuji Sone gehört haben. Egal ob intrinsisch oder extrinsisch durch Vorgaben von Forschungsförderung motiviert, die Entwicklungspraxis dient dem Einsatz und der Einsetzbarmachung des Werkzeugs an sich. Martin Meister hat auf diesen Zusammenhang schon für die Servicerobotik hingewiesen (Meister 2011: 120); es handelt sich erkenntnistheoretisch gesehen um eine „post-hoc“-Ausrichtung der Forschung (Knorr Cetina 1984).
Roboterentwicklung lässt sich also durch die kurze Argumentationskette „demografischer Wandel – Pflege-Notstand – Robotereinsatz“ schnell und überzeugend finanzieren.

3.2 Technisierung entlang institutionalisierter Routinen

Eine zweite zentrale Bedingung beantwortet das als „wicked problem“ bezeichnete mismatch zwischen der spezifischen Komplexität von Alltagswelten und der diskreten Sprache der Maschinen. Pflegeeinrichtungen und Pflegesituationen sind ein hochgradig strukturierter Ausschnitt von Alltagswelt. Hier finden bereits in der Definition des Gegenstandsbereichs Komplexitätsreduktionen statt, die Robotikerinnen und Robotikern helfen, das „Szenario“ zu definieren. Die „Nutzer“ treten zumeist schon in einer sehr spezifischen Rolle – als zu Behandelnde – auf, die bereits in rationalisierte Routinen eingebunden sind. Zu Pflegende sind Insassen einer „totalen Institution“ des Typs 1 im Goffman’schen Sinne (Goffman 1973). Sie werden umsorgt und ihre Freiheitsgrade sind eingeschränkt. Das erleichtert die Erarbeitung und Umsetzung eines Roboter-Szenarios insofern, als dass die Rahmenbedingungen der Mensch-Roboter-Interaktion, die zu erledigenden Aufgaben und die Akteurskonstellation der Nutzung von Beginn an in einem rigorosen Maß definiert sind.

Man mag berechtigterweise einwenden, dass dieses Bild der „Pflege im Minutentakt“ nicht den intiminen, leiblichen und kommunikativen Aspekten der Praxis des Pflegens oder ihrer normativen Bestimmung gerecht wird. Die hochgradig institutionalisierte Pflege, deren Praktiken zu einem hohen Anteil in Leitlinien, Formularen, Abrechnungsbögen und Dienstplänen standardisiert sind, ist allerdings die Pflege, an die Robotik anknüpft, wenn sie ihre Maschinen für diesen Anwendungsfall gangbar machen will.

3.3 Typische Bzüge zum Anwendungsfeld

Ohne dies hier anhand empirischer Ergebnisse herzuleiten (siehe Literaturverweis ganz oben), führt das in der Entwicklung von Robotern zu zwei typischen Bezügen zu Pflegesituationen: Die erste Gruppe von Anwendungen von Robotern in der Pflege dient als Implementierung eines beispielhaften Szenarios, das zum Ziel hat, die Effektivität des Einsatzes von Robotern wissenschaftlich nachzuweisen. Handlungsleitende Maße zur Implementierung der Mensch-Ronoter-Interaktion stammen dann aus dem institutionellen Kontext „Pflege“ – also gesetzliche Vorgaben, medizinische Maßeinheiten oder betriebswirtschaftliche Kennzahlen.
Die zweite Gruppe von Pflegerobotik-Projekten zerlegt Praktiken der Pflege in technische „Tasks“, übersetzt sie also so, dass ein Roboter sie ausführen kann. Aus dem Problem der Dehydrierung älterer Menschen wird so beispielsweise eine lange, verschachtelte Kette aus aufeinander aufbauenden Zuständen und Bedingungen, wie der Detektierung, ob ein Glas voll oder leer ist, bis hin zur (technisch komplizierten!) Herausforderung, einen Kühlschrank zu öffnen und dort eine Wasserflasche zu finden. Diese Tasks bilden – und das zeigt sich bei der Rücküberführung in Nutzertests mit echten Menschen – gegenüber der Realität der Pflege eine Wirklichkeit eigener Ordnung, bei der viele Aspekte der ursprünglichen Pflegepraktiken (wie z.B. auch die Sinnhaftigkeit oder Freiwilligkeit aus Sicht der Nutzer) zunächst ausgeblendet werden.

4. Fazit

Ich habe versucht zu zeigen, dass die Pflege von Menschen – trotz ihrer „wickedness“ – in zweierlei Hinsicht ein naheliegender Anwendungsfall für Roboterentwicklung ist. Zum einen erfüllt sie die epistemische Bedingungen des volkswirtschaftliches Nützlichkeitsversprechens, zum anderen ist eine zu Teilen hochgradig institutionalisierte Praxis. Insbesondere letzters fungiert als hilfreiche Komplexitätsreduktionen im Umgang mit „wicked problem“ Alltagswelt.

Wie an der kurzen Zusammenfassung typischer Bezüge zum Anwendungsfeld erahnbar wurde,  sind die damit einhergehenden Konfigurationen von Nutzung und Nutzern im Entwicklungsprozess selbst allerdings schlecht reflektiert und methodisch nicht kontrolliert.

Um eine Pflegerobotik zu realisieren, die nicht nur an den leicht technisierbaren Anknüpfungspunkten ihren Ausgang nimmt, sondern an tatsächlichen Handlungsproblemen der Akteurinnen und Akteure, sind aus meiner Sicht deswegen vor allem methodologische Anpassungen des Entwicklungsprozesses vonnöten. Damit meine ich die aktive Gestaltung und Ausrichtung der Entwicklung an den lebensweltlichen Dimensionen des avisierten Anwendungsfeldes Pflege – also an dem, was im Vollzug der Praxis des Pflegens tatsächlich als Thema, Problem, oder gar technisch leicht zu substituierende Aufagbe wirksam wird.  Bevor das nicht geschieht, werden avancierte Roboter, die mit Menschen interagieren können, keine sinnvolle Anwendung in der Pflege finden. Viel wahrscheinlicher ist dagegen, dass sich vergleichsweise einfache Roboter, wie ein selbstbefüllender Speise- oder Arzneimittelwagen durchsetzen.

Literatur

  • Bischof, Andreas. 2017. Soziale Maschinen bauen. Epistemische PRaktiken der Sozialrobotik. Bielefeld: transcript.
  • Goffman, Erving. 1973. Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
  • Knorr Cetina, Karin. 1984. The fabrication of facts: Toward a microsociology of scientific knowledge. In: Stehr & Meja (Hg.): Society and Knowledge. Ox-ford: Transaction Books: 223–244.
  • Meister, Martin. 2011. Soziale Koordination durch Boundary Objects am Bei-spiel des heterogenen Feldes der Servicerobotik. Dissertation. Fakultät Pla-nen, Bauen, Umwelt, Technische Universität Berlin.
  • Oudshoorn, Nelly, Els Rommes, und Marcelle Stienstra. 2004. Configuring the User as Everybody: Gender and Design Cultures in Information and Commu-nication Technologies. Science, Technology & Human Values, 29(1): 30–63.
  • Rammert, Werner. 1989. Technisierung und Medien in Sozialsystemen: Annähe-rungen an eine soziologische Theorie der Technik. In: Weingart (Hg.): Tech-nik als sozialer Prozeß. Frankfurt a.M.: Suhrkamp: 128–173.
  • Rheinberger, Hans-Jörg. 2001. Experimentalsysteme und epistemische Dinge: eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas. Göttingen: Wallstein.
  • Rittel, Horst, und Melvin M. Webber. 1973. Dilemmas in a general theory of planning. Policy sciences 4.2: 155–169.
  • Woolgar, Steve. 1990. Configuring the user: the case of usability trials. The Sociological Review 38.S1: 58–99.

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